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Charlotte Abraham-Levy
9.2.1923 Bremen - 1.10.2012


Charlotte war die Tochter von Max Abraham. geb. 1874 in Bremen. Er hatte nach einer Kaufmannslehre 1915 das Geschäft seines Vaters "Kurzwaren und Herrenartikel en gros" übernommen. Er war orthodoxer Jude und letzter Prediger der jüdischen Gemeinde . In der in der jüdischen Winterhilfe war er Buchhalter . Ihre Mutter Else, geb. Goldstein geb. 1888 in Nordhausen, hatte im Ersten Weltkrieg eine Ausbildung zur Rot-Kreuz Schwester gemacht. 1920 heiratete sie Max Abraham. Sie zog mit ihrer Mutter Ida nach Bremen in die Bornstraße.Ende der 20er Jahre wurde der Textilhandel immer schwieriger und ihre Mutter richtete eine Frühstückspension der Bornstraße ein, in der ihr Lotte half.

1929 wurde sie in die Michaelisschule eingeschult, 1933 wechselte sie zum Lyzeum Kleine Helle. Sie fühlte sich dort zunächst sehr wohl - sie sang im Chor der Schule, spielte in der Theatergruppe mit und war auch eine gute Turnerin. Sie war auch Mitglied im Bremer Turnverein Am Dobben, bis ihr nach der NS-Machübernahme gesagt wurde, Juden seien nicht mehr erwünscht. Sie wurde Mitglied der Sportgruppe Schild Bremen, ein jüdischr Sportverein, der sich gegründet hatte, nachdem Juden in gemischten Sportvereinen nicht mehr geduldet wurden. Das Klima an der Schule änderte sich, Diskriminierungen nahmen zu. Als ihre Klasse das Bremer Rathaus besuchte, musste sie draußen warten. Nach 1933 hatte sie fast nur noch jüdische Freundinnen - ihre liebste Freundin war Rita Posnansky, die mit ihrem Bruder und ihren Eltern 1938 nach England ging.
1937 unternahm ihre Klasse in der kleinen Helle einen Ausflug. Als sie am Bahnhof ankam, teilte ihre Lehrerin Mathilde Plate ihr mit, dass sie nicht mitkommen könne, da Juden unerwünscht seien.
Am 2. Juni 1937 erließ das Reichserziehungsministerium einen Erlass, der jüdischen Schülern nur noch die Teilnahme am Unterricht gestattete, nicht jedoch an Gemeinschaftsveranstaltungen außerhalb des Unterrichts. Sie fühlte sich gekränkt "Mein Selbstbewusstsein erhielt einen Schlag", berichtete sie.1

Ihre Eltern berieten sich mit Mathilde Plate, die ihnen riet, ihre Tochter aus der Schule zunehmen.Im November 1937 verließ sie die Schule. 1938 verboten die Nazis jüdischen Schülern den Besuch von Schulen. Sie begann Ende April eine Lehre in der Uhrengroßhandlung Max Meyer in der Sögestrasse und besuchte zusätzlich die Handelsschule Union. Mit ihrem ersten Lohn ging Lottie zum Frisör. Die Zöpfe sollten ab,jetzt war sie erwachsen.Stolz kehrte sie mit damenhafter Dauerwelle nach Hause zurück. "Meine Mutter war so böse. Sie ist zum Frisör gerannt: Wie können Sie das machen. Meiner Tochter einfach so die Zöpfe abschneiden, ohne meine Erlaubnis?"2 Nur ein Jahr später wurde die Firma "arisiert" und sie musste ihre Lehre abbrechen.
"Am 10.November 1938 wurde die Familie Abraham am frühen Morgen in ihrem Haus in der Bornstraße verhaftet und in die Mißlerhallen getrieben."Sie polterten an die Türen und holen uns aus den Betten.3 Der Hausangestellten gelang es noch, die Haushaltsgegenstände vor dem Zugriff der Nachbarn, die davon ausgingen, die Familie würde nicht wiederkommen, zu retten."Sie standen dort viele Stunden, bis es plötzlich hieß: Ihr Weiber geht nach Haus>".3 Die Männer mussten zu Fuß durch die Stadt bis zum weitentfernten Zuchthaus in Oslebshausen marschieren. Am 11. November wurde ihr Vater in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Erst nach sechs Wochen kehrte er zurück, abgemagert, bedeckt mit Blutergüssen und Wunden.4

In England wohnte sie in Manchester bei der Familie Kershaw. Sie versuchte, für ihre Eltern ein Visum für England zu erhalten. Die Kriegssituation wirkte sich auch auf die Situation ihre Gastfamilie aus - sie konnten für ihren Lebensunterhalt nicht mehr aufkommen. Sie fand eine neue Familie, blieb dort aber wegen der schlechten Behandlung nur sehr kurz. Obwohl sie eigentlich Ärztin werden wollte, entschloss sie sich zu einer Ausbildung als Krankenschwester und wurde Mitte 1941 Schwesternschülerin am Manchester Northern Hospital. Sie wohnte im Schwesternheim. Ihren letzen Brief von ihren Eltern erhielt sie 1941.
Sie sorgte sich sehr um ihre Eltern, konnte aber von England aus zunächst keine Informationen bekommen. 1944 heiratete sie Hans Levy, den sie nach der Ankunft in einem Jugendclub für Transportkinder kennengelernt hatte. Sie arbeitete in einer orthopädischen Klinik in Ascot.( bis über das 73. Lebensjahr hinaus!) Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Einen Sohn (Peter) der 1994 bei einem Flugzeugunfall starb) und eine Tochter (Susan). Charlotte besuchte regelmäßig in London das Bloomsbury House, wo Listen der Getöteten in Deutschland aushingen und stieß erst 1948 auf den Namen ihrer Eltern, die nach 1941 nach Minsk deportiert und dort ermordet worden waren. "Als ich endlich erfahren habe, dass meine Eltern nicht mehr lebten, war ich irgendwie erleichtert. Das Warten, die Unsicherheit, es war vorüber - bis dahin hatte ich immer noch Hoffnung gehabt. Nun wusste ich, dass ich sie nie wiedersehe- und musste mich damit abfinden."5
Sie beantragte erst 1956 eine Beihilfe (keine Entschädigung) zum Aufbau einer neuen Existenz.
1960 erfuhr sie, dass das Amtsgericht Bremen sie am 8.9.1948 für tot erklärt hatte."Um diesen Irrtum zu korrigieren, wurde ihr nahegelegt, einen Antrag auf Aufhebung zu stellen - erst Mitte März im darauffolgenden Jahr erfuhr sie, dass dem Antrag stattgegeben und sie als Verfolgte anerkannt worden war. Sie versuchte, auch die Rechte für ihre Eltern wahrzunehmen. Die Bearbeitung ihres Antrags dauerte jedoch 12 Jahre Die Bewilligung erfolgte jedoch nicht ohne akribisches Nachforschen, ob ihre Mutter tatsächlich eine Pension geführt und wieviel sie für die Vermietung eingenommen hatte. Insgesamt erhielt sie in zwei Raten 10.000 DM.
Als 74-Jährige besuchte sie erstmals wieder ihre Heimatstadt."Alles ist so lange her.Ich bin jetzt fast schon Urgroßmutter. Manchester ist meine Heimat", sagte sie damals. Als die Stolpersteine zur Erinnerung an ihre Eltern 2004 in der der Falkenstraße 7 A, der früheren Bornstraße verlegt wurden, war sie dabei. "Sie hat das gemacht, obwohl sie Angst hatte, dass Nazis darauf rumspringen oder sie kaputt machen könnten. Sie war sich bewusst, dass es immer noch Antisemiten in Deutschland gibt", sagt Bettina Decke. Sie hatte hier noch mal eine große Aufgabe, die sie bis zur Erschöpfung erfüllt hat, und es war bestimmt nicht einfach für sie. Letztlich sei es aber auch befriedigend für sie gewesen, dass sie in ihrer Geburtsstadt anerkannt wurde, dass der Bürgermeister sie empfing und dass sie im Rathaus sprechen durfte. Eine bleibende Erinnerung - für alle,die sie getroffen haben.6"
Anmerkungen:
1.Decke Bettina: Du mußt raus hier!" Lotte Abraham Levy: eine Jugend in Bremen, Donat Verlag Bremen 1998, S.19
2.ebda. S.36
3.ebda.
4.Karl Walter Beise, Kultur des Erinnerns, Hrsg. Rochow-Museum und Akademie für Bildungsgeschichtliche Forschung e.V. an der Universität Potsdam. Zeitschrift für Museum und Bildung 65/2006,S.47
5.Decke S.128
6.Weser-Kurier 28.11.2012
Fotos: Charlotte Abraham für das Buch von Bettina Decke.
Lottie Abraham-Levy, einige Jahre vor ihrem Tod. GERBRACHT/PRIVAT

Autorin: Edith Laudowicz