Wilhelmine Friedericke Katherine, gen. Mintje oder Mintja Bostedt,
14.3.1897 in Preetz - 23.7.1955 in Bremen
Mintje war die Älteste von sechs Geschwistern. Sie hatte als Kind ein Auge verloren. Um seinen Kindern eine bessere schulische Bildung zu ermöglichen, zog die Familie 1905 nach Kiel, wo sie die Höhere Töchterschule besuchte.
Ab 1915 wurde sie in Berlin im von Hedwig Heyl gegründeten und zu diesem Zeitpunkt von Anna von Gierke1 geleiteten Berliner "Jugendheim Charlottenburg" zur Kindergärtnerin und Hortnerin ausgebildet. Anna von Gierkes Bildungsansatz - die individuelle Förderung von Arbeiterkindern und die Förderung ihrer kulturellen Bildung - beeinflusste Mintje B. stark. "Es kann in der Erziehung nicht darauf ankommen, das Kind zu einem gewissen Typus zu erziehen, so wie er uns Erwachsenen gerade vorschwebt. Wichtiger ist es, die Gesetze des Kindes
zu beachten um es in seinem Wesen zu fördern, um aus ihm das in ihm angelegte, das vor ihm stehende Bild zu verkörpern."2
Von 1917 bis 1919 leitete sie einen Hort des Jugendheims. 1920 wurde sie in Görlitz Leiterin der Schulpflege beim Jugendamt, das sozialpädagogische Aufgaben wahrnahm.
In Görlitz blieb sie bis 1923 und ging von dort nach Bremen.
Beginn der Tätigkeit in Bremen
Hier wurde sie bis 1934 Leiterin des Sozialpädagogischen Seminars für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen
des Frauen-Erwerbs- und Ausbildungsvereins (FEAV). Dieses war auf Initiative des Vorstands des Vereins gegründet worden,
nachdem sehr viele junge Frauen nach einer Ausbildungsmöglichkeit suchten. Der Verein richtete ein Ersuchen um staatliche Anerkennung
und begründete dies mit der Notwendigkeit einer qualifizierten Ausbildung für Frauen, die ihnen auch eine eigenständige Lebensperspektive ermögliche.
Er beantragte die Übernahme der Ruhestandsgehälter der Lehrerinnen durch den Staat und Zuschüsse für die Instandsetzung des Hauses an der Nordstraße,
in dem das Seminar 1920 eröffnet werden konnte. Auf Vorschlag von Gertrud Ordemann,3der ersten Leiterin des Seminars, wurde Mintje B. eingestellt.
"Sie unterrichtete selbst in den Fächern Berufskunde (Kindergarten- Hort- und Heimkunde),Geschichte der Pädagogik, Jugendwohlfahrtkunde und Bewegungsspiel."4
Sie wurde eine erfolgreiche, anerkannte Leiterin des Seminars. Im Mittelpunkt ihrer pädagogischen Bemühungen stand die Befähigung der Schülerinnen,
die Fähigkeiten der Kinder zu erkennen und zu helfen, diese weiter zu entwickeln. In besonderem Maße richtete sie ihr Augenmerk auch auf die Lebenssituation von Arbeiterkindern. Da der FEAV in vielen Stadtteilen Horte einrichtete, kamen die Schülerinnen mit allen sozialen Schichten in Kontakt. Es bedeutete für viele junge Frauen, die eher einem bürgerlichen Milieu entstammten,
sich auf diese Gruppen jeweils angemessen einzustellen.
Sie setzte sich auch theoretisch mit den Fragen der Hort- und Heimerziehung auseinander. 1925 hielt sie einen Vortrag zum Thema "Kinderbewahranstalten".5 In ihm plädierte sie für die Förderung des "Selbstbildungsprozesses" durch die
Sinnesbildung in Form von Spiel - dem sie eine besondere Bedeutung zumaß - und Arbeit. Anlässlich einer Tagung zur Frage, ob die Familie Vorbild für eine Heimerziehung sein könne, äußerte sie sich kritisch zu Bemühungen, in der Heimerziehung familienähnliche Strukturen schaffen zu wollen, weil sowohl die Bezugspersonen als auch die Kinder sich einander fremd seien. In einem weiteren Vortrag "Autorität und Freiheit als Grundsätze der Kleinkinderziehung"
führte sie aus, dass falsch verstandene Autorität zur Unfreiheit führe, weil sie Abhängigkeiten produziere.5 Für Wilhelm Kaisen, damals Wohlfahrtsenator verfasste sie 1930 eine Denkschrift "Die Notwendigkeit von Kindertagesheimen in Bremen."
Nach der Machtübernahme Hitlers wurde sie von einer Schülerin denunziert, zunächst degradiert und 1934 wegen "politischer Unzuverlässigkeit" entlassen. Sie fand aber in Weimar eine Anstellung beim "Verein zur Erhaltung und Förderung der Frauenschule in Weimar", dessen Leiterin sie 1935 wurde.
Hier konnte sie ihr pädagogisches Bildungskonzept weiter verwirklichen. 1941 wurde die Einrichtung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) unterstellt.
"Um der Erhaltung der Schule willen blieb ihr nichts anderes übrig, als in die Nationalsozialistische Partei (NSDAP) einzutreten und einen Teil des
Kollegiums nach und nach zum gleichen Schritt zu bewegen."6 Sie ließ sich aber keineswegs auf eine Änderung ihres pädagogischen Programms ein, setzte weiterhin auch Literatur und Lehrbücher von
jüdischen Autorinnen ein und bot Gertrud Staewens Tochter die Möglichkeit, die Schule zu besuchen.
Als 1946 in der damaligen Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) die Einheitsschule als Regelschule eingeführt und private Schulen nicht mehr gestattet wurden, verließ sie 1948 Weimar und kam nach Bremen zurück.
Zunächst war sie als Referentin im Wohlfahrtsamt, ab 1.10.1949 wurde sie Leiterin des Bremer Jugendamtes. Sie setzte sich für die Einrichtung einer Erziehungsberatungsstelle und die Schaffung von
Kindertagesheimen und Horten ein und entwickelte eine berufsbegleitende Heimerzieherausbildung. Die nach ihrem Konzept ausgebildeten jungen Frauen fanden einen Arbeitsplatz in Bremer Heimen und das bewirke, dass in diesen Heimen ein neuer Geist einzog.7
1953 wurde die von ihr initiierte sozialpädagogische Bewährungshilfe ins Leben gerufen. Im gleichen Jahr hielt sie vor dem Bremer Frauenausschuss (BFA) einen Vortrag über die sozialpädagogischen Aufgaben der Jugendwohlfahrt, in dem sie auf die soziale Lage der Flüchtlinge und
Zuwanderer sowie die unzureichende Ausstattung der Schulen einging.
Nach einer Reise in die USA kam sie krank zurück und musste sich einer Gallenoperation unterziehen. Sie starb 58jährig.
Annemarie Mevissen schrieb über sie: "Sie war nicht nur eine Kennerin aller fachlichen Probleme und rechtlichen Grundlagen, Sie war auch die ‚Seele des Hauses'. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie mit dem Amt ‚verheiratet' war und ein vergleichbares Engagement auch von den anderen erwartete, die mit ihr zusammenarbeiteten. Das führte manchmal zu Spannungen, aber alle Mitarbeiter standen in großem Vertrauen zu ihr. Neue Wege, die später zum breiten Angebot freiwilliger Leistungen des Jugendamtes gehörten oder zu typischen Experimenten
Bremer Arbeit, sind von ihr initiiert worden. Leider starb sie viel zu früh, um die Früchte ihrer Ideen miterleben zu können.8
Anmerkungen:
1.1911 hatte Anna von Gierke im "Jugendheim" das Sozialpädagogische Seminar eröffnet. Die Ausbildung bereitete auf den Beruf der Hortnerin sowie den der Schulpflegerin vor.
2.Vortrag "Kinderbewahranstalten", 1925, in: Weser-Kurier 19.1.1997.
3.Gertrud Ordemann, verh. Staewen, ist die Schwester von Hilda Ordemann, verheiratete Heinemann. Sie stand der Bekennenden Kirche nah und wurde deshalb drangsaliert und verfolgt.
4.Fischer-Buck, Anne, u.a., S.27.
5.ebda. S.213.
6.ebda. S.58.
7.Fuchs, Robert
8.Mevissen, Annemarie: Erlebtes aus der Politik, Bremen 1956, S.195
Literatur und Quellen:
Fischer-Buck, Anne/Schultheis, Rosemarie/Stoevesandt/v.Ungern, Klara: Mintje Bostedt, Norderstedt 1995
Fuchs, Robert: im Auftrag des Arbeitskreises zur Aufarbeitung der Heimerziehung im Lande Bremen, Bremen 2010
Bildquelle: Mintje Bostedt, S.165
Autorin: Edith Laudowicz
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