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Leuwer, Johanna Rosa, gen. Anni, geb. Neumark

24.9.1871 Bremen - 8.2.1943 in Theresienstadt ermordet

Anni war die Tochter von Joseph Abraham Neumark (1838-1905) und seiner Frau Rosalie, geb. Ballin (1849-1923), beide jüdischer Konfession. Sie hatte drei Brüder: Friedrich (1876 - 1957), der ein angesehener Architekt war und Adolf (1870-1945), der Arzt wurde und Max (1875-1933), der Kunstmaler war. Anni erhielt eine Ausbildung zur Dentistin.

Sie heiratete 1893 den Kaufmann Hermann Mengers aus Berlin, wohin sie mit ihrem Mann zog. Hier wurde ihre Tochter Rosita Ilse 1894 geboren. Zwei Jahre später ließ sich das Ehepaar scheiden und Anni M. kehrte nach Bremen zurück. Sie eröffnete eine Zahnarztpraxis am Schüsselkorb, die erste, die eine Frau betrieb.
"1910 lernte sie den Buchhändler Franz Hendrik Hubert Leuwer kennen, der als Mieter in das Haus einzog und heiratete ihn."1 Franz Leuwer. betrieb in der Obernstraße eine renommierte Buch- und Kunsthandlung, in der neben Lesungen auch Ausstellungen und Vorträge angeboten wurden. Der Buchhandlung gehörten auch die Bordbuchhandlungen auf den Passagierdampfern des Norddeutschen Lloyd.
Die Familie lebte in der Bismarckstraße. 1912 wurde ihre Tochter Elisabeth Wilhelmine, gen. Lisa, 1916 der Sohn Franz Josef geboren. Nur fünf Wochen danach starb ihr Ehemann. Die Firma wurde in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt, in der "Anni Leuwer persönlich haftende Gesellschafterin blieb und zu 50% am Gewinn beteiligt wurde."2 Der Prokurist Emil Spiegel übernahm die Geschäftsführung der Buchhandlung, die später dem Sohn Franz übergeben werden sollte, der zunächst eine Buchhändlerlehre machte.



Die Buchandlung in der Obernstraße

Kaum waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen, legte der Norddeutsche Lloyd ihr nahe, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, sie war fortan nur noch Stille Teilhaberin. Ihre erstgeborene Tochter Ilse hatte 1918 den Rechtsanwalt Dr. Julius Katzenstein geheiratet, der unter dem Namen Josef Kastein3 zahlreiche Bücher veröffentlichte. Sie bekamen zwei Söhne (1919 Josef-Alexander und 1921 Gabriel). 1926 ließ sich das Paar scheiden. Ilse wanderte 1933 mit ihren beiden Söhnen nach Palästina aus, weil die beiden Söhne das Gymnasium verlassen mussten. Dort heiratete sie Mordechai Landau.
Die Tochter Lisa, die 1927 von Pastor Fraedrich konfirmiert worden war, wurde Dolmetscherin. Nach mehreren Auslandsaufenthalten in Italien und England heiratete sie 1935 in England ihren Studienkameraden Hill. Zwischen 1935 und 1938 kam sie mehrmals nach Bremen zurück, um ihre Mutter zu unterstützen. Trotz der Ereignisse in der Pogromnacht am 9.11.1938, die in ihr schlimme Ahnungen weckten, blieb sie in Bremen. Ihre Brüder Friedrich und Adolf waren am 9.11. verhaftet worden und wurden bis Dezember 1928 im KZ-Oranienburg-Sachsenhausen inhaftiert. Sie wurden mit der Auflage, das Land zu verlassen, entlassen.
Wie alle Juden hatte Anni Leuwer 1938 eine Judenvermögensabgabe zu leisten. Sie zahlte 48.500 Reichsmark und wurde außerdem gezwungen, ihren Grundbesitz abzugeben, sie lebte fortan bei ihrem Bruder Friedrich in der Kurfürstenallee. Auf das Drängen der Kinder, nun endlich das Land zu verlassen, entgegnete sie "Vielleicht komme ich nach, aber ein alter Baum ist schwer zu verpflanzen. Egal was passiert, man wird einer alten Dame, einer Frau wir mir, schon nichts tun. Was man mir Böses antun konnte, hat man bereits getan.4 Ihr Sohn Franz verließ Deutschland und ging 1938 nach England und nahm dort den Namen Frank Lynder an. Ein Jahr später floh auch ihr Bruder Friedrich nach England, der 1946 starb. Schließlich beantragte sie eine Ausreisegenehmigung. "Als sie diese in Händen hatte, bekam sie ein Magengeschwür."5 Sie verbrachte mehrere Wochen im Krankenhaus, eine Kur schloss sich an. Ihre Häuser in der Obernstraße und Bismarckstraße wurden 1939 arisiert.

Nach dem Ausbruch des 2.Weltkriegs 1939 war eine Ausreise nicht mehr möglich. Ab September 1941 musste sie den Judenstern tragen. Am 16.3.1942 wurde sie gezwungen, die Wohnung zu verlassen und musste in das Judenhaus6 in der Franz-Liszt-Str. umziehen. Eine Nachbarin konnte wenige Gegenstände sicherstellen, der Rest ihrer Möbel und des Hausrats wurden unter Parteimitgliedern versteigert. Außerdem musste sie ihre noch verbliebenen Vermögenswerte abgeben. Am 16.7.1942 überwies sie der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" mehr als 55.000 Reichsmark. Eine Woche später wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie sechs Monate später an Unterernährung starb. Ihr Bruder Adolf , der ebenfalls nach Theresienstadt deportiert werden sollte, konnte aber rechtzeitig untertauchen. Die Buchhandlung wurde im selben Jahr durch Bomben zerstört.

2005 wurde vor dem Haus in der Kurfürstenstraße 9 ein Stolperstein zum Gedächtnis an sie verlegt. Auf dem Riensberger Friedhof auf dem Grabstein der Familie Neumark wird auch sie aufgeführt.
Anmerkungen:

1. Eisenhauer, Günther/Koch, Diether, S.127.
2 ebda. S.128.
3. Dierking, Jürgen/König, Johann-Günther.
4. Eisenhauer/Koch, S.130.
5. ebda.
6. Als Judenhaus wurden in der Behördensprache des nationalsozialistischen Deutschen Reichs Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum bezeichnet, in die ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter zwangsweise eingewiesen wurden.
Literatur und Quellen:
Aschenbeck Nils: Hundert Jahre Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer, Bremen 2003
ders.: Agent wider Willen-Frank Lynder, Axel Springer und die Eichmann-Akten, Wiesbaden 2012
Eisenhauer, Günther/Koch, Diether Behrens, Klaus -Talla (Red.): Anni Leuwer und ihre Kinder. In :Lebensgeschichten. Schicksale Bremer Christen jüdischer Abstammung nach 1933, Hospitium ecclesiae, Band 23 Bremen 2006, S. 127-134
Dierking, Jürgen/König, Johann-Günther: Josef Kastein- Was es heißt, Jude zu sein - Eine Kindheit in Bremen, Bremen 2004
Schwarzwälder Herbert, Das Große Bremen-Lexikon
Autorin:Edith Laudowicz ©
 


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