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Zwienick, Selma geb. Stiefel
8.6.1882 Hamburg - ermordet 10.11.1938 Bremen


8.6.1882 in Hamburg - 10.11.1938 in Bremen Selma war das jüngste von sechs Kindern des jüdischen Schumachers Koppel Stiefel aus Abterode (Kreis Eschwege) und seiner Frau Elise, geb. Cohen. "Ihr Vater war einer der wenigen jüdischen Kaufleute, der im Jahre 1892 Hamburger Staatsbürger wurde. .
Nach einer Ausbildung Tätigkeit als Erzieherin und arbeitete sie bis zur Eheschließung in einer großen Hamburger Firma als Buchhalterin.
1916 heiratete sie den aus der Ukraine stammenden und seit 1914 in Bremen lebenden jüdischen Schlosser Joseph Zwienicki (*15.2.1892). der 1913 aus der Ukraine vor den Pogromen geflohen war und zuerst in Oberschlesien lebte,dann aber nach Hambur zog.
Das Ehepaar kaufte in Bremen ein Haus in der Hohentorstraße und eröffneten eine Fachgeschäft für Fahr- und Motorräder." Das Geschäft florierte und ihr Mann produzierte sogar eigene Fahrräder unter dem Namen "Republik."1 Sie hatten vier Kinder: Gerd (geb. 1917), Benno (geb. 1918), Liesel (geb. 1921) und Alfred (geb. 1925). Während Joseph Z. die handwerklichen Arbeiten erledigte, führte Selma die Geschäftsbücher, organisierte den Ein- und Verkauf und kümmerte sich um den Haushalt und die schulische und religiöse Erziehung ihrer Kinder. .

Sie hatten ein sehr glückliches Familienleben. Das Haus war stets belebt mit Freunden und Gästen und gemeinsam besuchten sie häufig die Synagoge in Hastedt. Die Sommerwochen verbrachte die Familie oft auf dem Lande in Oldenburg, Wildeshausen und Aurich oder in Wyk auf Föhr. Häufig wurde auch Selmas Familie in Hamburg besucht. Ein großes Ereignis stellte der Besuch der Mutter im Jahr 1925 dar, denn sie war die einzige von den Großeltern, die ihre Enkelkinder kennenlernte. Nachdem ihr Mann im Jahre 1919 das Opfer eines Judenpogroms in Odessa geworden war, lebte sie allein. Den Sohn hatte sie seit dessen Flucht 1913 nicht mehr gesehen. Sie blieb drei Monate und reiste dann zurück, die Familie hat sie nie wieder gesehen.
Den guten Geschäften folgten magere Jahre, bedingt durch die Wirtschaftskrise. Der ständige Kampf, genug Brot zu haben für eine sechsköpfige Familie war zermürbend. Joseph Zwienicki wurde im Jahre 1922, als aus Russland die Sowjetunion wurde, staatenlos. Trozdem die Familie viele nichtjüdische Freunde hatte, bemerkten sie den aufkommenden Hass gegen Juden, Sie fühlten sich als Fremde. Sie wurden drangsaliert, die deutsche Staatsangehörigkeit zu kaufen. Joseph Zwienicki entschied sich dagegen. …1939 verloren alle gekauften Staatsbürgerschaften ihre Gültigkeit…Mit Furcht blickte die Familie auf die zunehmenden Versammlungen der Nazis. Besonders Selma Zwienicki befürchtete von Anfang an nichts Gutes." Die Familie erlebte schon bald Anfeindungen und auch einige nichtjüdische Freunde wandten sich ab. Sie versuchten sogar ihrem Mann gestohlene Sachen zu verkaufen um ihn später als Hehler anzeigen zu können. .
Die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte seit April 1933 führten zu immer stärkeren geschäftlichen Einbußen und schließlich. ordneten die Nazis an, direkt neben ihrem Geschäft ein weiteres Fahrradgeschäft zu eröffnen, außerdem ordneten sie an, nicht bei den Zwienickis zu kaufen."Um die Angelegenheit zu verschärfen, ordneten die Nazis dem Nachbarn der Zwienickis an, einen hohen Arbeitsraum auf seinem Hof zu bauen. Der Arbeitsraum zwischen den beiden Höfen sollte den Zwienickis das Tageslicht das Tageslicht in der Küche nehmen, da der Bau zwei Drittel des Küchenfensters verdeckte. .


In der Reichspogromnacht vom 9.auf den 10.11.1938 befand sich das Ehepaar mit den Söhnen Benno und Alfred im Haus, Gerd war sich zu dieser Zeit in Würzburg an der Jüdischen Lehrerbildungsanstalt. Die Tochter Liesel lebte schon in Hamburg. "Als Joseph Zwienicki den Lärm der SA-Leute vor dem Haus hörte, fürchtete er um sein Leben und flüchtete unbemerkt über die Dächer. Der SA Führer Heike drang auf Befehl der SA in das Haus ein und traf im Schlafzimmer auf Selma Zwienicki. Sie stellte sich schützend vor die Söhne. Als sie auf die Frage nach dem Verbleib ihres Mannes keine Auskunft geben konnte, wurde sie erschossen. Benno rannte daraufhin fort, um einen Arzt zu holen, er wurde von den SA-Leuten verfolgt. Der so auf Umwegen alarmierte Arzt konnte später nur noch den Tod Selma Zwienickis feststellen. Joseph Zwienicki hielt sich hinter dem Haus versteckt bis die SA Leute fortgegangen waren.Alfred wurde in "Schutzhaft" genommen und ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er sechs Wochen lang inhaftiert war." Das Geschäft musste aufgegeben werden." .
Gerd Zwienicki kehrte nach Bremen zurück. Im Auftrag der Israelitischen Gemeinde bereitete er die Wiedererrichtung einer Schule für die jüdischen Kinder vor und verhandelte darüber mit der Gestapo. Nach diesen Ereignissen wanderten die überlebenden Familienmitglieder aus. Das Geschäft wurde zum 6.12.1938 abgemeldet und das Haus zwangsweise verkauft. Sie erhielten nach erheblichen Schwierigkeiten die Genehmigung, nach Kanada auszureisen, und mussten ihre Sachen unter Aufsicht eines Gestapo-Beamten packen, der darauf achtete, dass nichts Wertvolles mitgenommen wurde. Mit Hilfe eines Cousins, der in Kanada lebte, konnte eine Landungskarte für die Familie bekommen, Joseph Zwienicki stellte einen Ausreiseantrag. Gerd verhandelte mit der Gestapo über die Freilassung von Gefangenen und konnte die Entlassung seines Bruder erreichen. Das Haus musste verkauft werden, sie erhielten gerade einmal 1200 Reichsmark dafür, das reichte gerade für die Schiffskartenießen. Unter Aufsicht eines Beamten mussten sie ihre Sachen packen, aber alle Wertsachen abgeben. Am 31. 5. 1939 reisten sie aus. Und ließen sich in Montreal nieder. Der Sohn Gerd erhielt eine Zulassung für die Universität Baltimore in den Vereinigten Staaten. Dort nahm er den Namen Jacob Gerd Wiener an, schloss die Ausbildung als Rabbiner ab und promovierte. .
Vor dem Landherrenamt im Bremer Schnoor-Viertel wurde 1982 ein Gedenkstein nach einem Entwurf des Künstlers Hans Dieter Voss (1926-1980) errichtet. Auf ihm sind die Namen der fünf in der "Reichskristallnacht" ermordeten Menschen verzeichnet. .
Bei der Verlegung eines "Stolpersteins" (2005) für Selma Zwienicki an der Ecke Hohentorstraße/Große Sortillienstraße war ihr Sohn Gerd Wiener dabei.

Literatur und Quellen:.


Jüdisches Leben in der Bremer Neustadt,Katalog zur Ausstellung in der St.Pauli Gemeinde in der Bremer Neustadt vom 5. - 23.November 2001 - alle Zitate hieraus.
Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.): Lührs, Wilhelm u.a.: "Reichskristallnacht" in Bremen, Bremen 1988.
Opfer der "Reichskristallnacht" in Bremen und Umgebung, Bremen 1988, S.92-94 Rübsam, Rolf: Sie lebten unter uns, Bremen 1988.
Wiener, Jacob G. (Gerd Zwienicki), Time of Terror - Road to Revival, Trafford Publishing, 2010.
Bildquellen: Familienbild US Holocaust Museum mit Erlaubnis Jacob Wieners.
Geschäft: Staatsarchiv Bremen.
Anmerkung: In der Sterbeurkunde, die die Stadt Bremen am 23. November 1938 ausstellte, heißt es über die Todesursache "tot aufgefunden".


Literatur und Quellen:
Rolf Rübsam: Sie lebten unter uns, Bremen 1988;
Der Senator für Justiz und Verfassung der freien Hansestadt Bremen (Hg.) "Reichskristallnacht"in Bremen, Bremen 1988
Bildquellen: Familienbild US Holocaust Museum mit Erlaubnis Jacob Gerd Wieners
Geschäft: Staatsarchiv Bremen

Autorin:Edith Laudowicz