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Margarethe Hedwig Hülle, geb. Hoffmeier (Hoffmeyer), Pseudonym Ludwig März

25.1.1794 in Ovelgönne i.O.- 1.8.1861 in Varel i.O.

Hedwig Margarethe Hoffmeiers Vater Hermann Christian (*1733) war Rechtsanwalt in Ovelgönne. Sie verlor ihren Vater früh und zog mit ihrer Mutter in den Harz.1 Nach ihrer Heirat mit dem "redlichen Kaufmann," dem Gewürzhändler Johann Christian Hülle, zog sie 1815 nach Bremen. Das Ehepaar bekam zwei Töchter: Marie Elise Christine (* 1820) und Sophia Helena (*1824) und einen Sohn.2
Hülle erblindete 1825. Um den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern3, begann sie mit ihrer literarischen Arbeit. Dass es für sie nicht leicht war, wird aus einem Brief an Goethe am 11.1.1825 deutlich, den sie anlässlich der Bitte um eine positive Beurteilung ihrer Nachdichtung der Odyssee von Homer bat. Sie begründete ihre bereits 1822 begonnene schriftstellerische Arbeit damit, dass sie weder "aus eitler Ruhmsucht" noch "um die schon zu große Zahl der Schriftstellerinnen noch zu vermehren", sondern "einzig aus materieller Not gezwungen sei, durch schriftstellerische Tätigkeit die Versorgung der Familie zu sichern"4. 1829 wandte sie sich auch an den Herzog von Oldenburg mit der Bitte um Gewährung einer finanziellen Unterstützung für die Erziehung ihres Sohnes.5
1822 war ihr erster Gedichtband "Erstlinge des Frühlings" erschienen. Theodor von Kobbe, Herausgeber der "Humoristischen Blätter" in Oldenburg, würdigte sie anlässlich ihres Vorhabens der Herausgabe eines "Bremischen Albums": "Die Feder der Herausgeberin war lange der Fittig, der einen blinden Gatten und unversorgte Kinder ungezähmt durch das Leben trug. War solche Last schwer und drückend, so erhob sich der Geist der Dichterin doch in die schönsten Reiche der Phantasie, und führte manche dort gesehene Lichtgestalt vor unsere Augen. Selbst der strenge Müllner versagte Hedwig Hülle nie die ehrendste Anerkennung ihrer dichterischen Leistungen."6
1826 erschien ihre freie Nachdichtung der Odyssee, die in der literarischen Welt sehr kontrovers diskutiert wurde. In dem erwähnten Brief an Goethe hatte sie darauf verwiesen, dass sie ihre Kenntnisse des Griechischen durch ihren Vater erworben hatte7 und die Odyssee in der Voß'schen Übersetzung kennen gelernt hatte. "Goethe äußerte sich nicht zu ihrem Werk, sandte aber Textproben an Ludwig von Knebel mit der Bemerkung: Was sagst Du zu der wunderlichen Übersetzung der Odyssee? Kann man sie auch nicht billigen, so darf man sie doch auch nicht schelten." Knebel beurteilte die Verse wohlwollend und sandte seine positive Stellungnahme sowie eine weitere von Heinrich Düring an Goethe zurück. Wenn Goethe auch Hedwig Hülle nicht antwortete, so erwies er ihr doch seine Reverenz, indem er die ihn am 17.3.1826 mit den Worten 'Bleibst du freundlich, so bleibt freundlich der Schatten Homers!' übersandte zweibändige Ausgabe der "Irrfahrten des Odysseus" in seine Bibliothek einreihte, in der sie heute noch zu finden ist,"8 jedoch in seinen "Schriften zur Literatur und Theater" schrieb er über ihre Verse, dass diese "als entgegengesetzteste Behandlungweisen einer altkanonischen Überlieferung, verdienten in einem folgenden Hefte ausführlicher besprochen zu werden.9
In den literarischen Zeitungen wurde ihre Übersetzung sehr unterschiedliche beurteilt: So hieß es in den Blättern für literarische Unterhaltung 183910: "Frau Hedwig Hülle hat sich die größte Freyheit genommen und ihre Odyssee ist so sehr eine deutsche geworden, dass die griechische, wenn man die Namen der Personen und Oerter und das Materielle der Begebenheiten abrechnet, schwer wieder zu erkennen seyn möchte. Sie hat die allerunpassendste Rhytmenform und Reimweise gewählt, die sich etwa auffinden ließen." Und im "Mitternachtsblatt für gebildete Stände" hieß es: "Ein Frauenzimmer in Bremen, Frau Hedwig Hülle...hat Homers Odyssee in gereimten Strophen - ja wie nennen wir es am Besten? F r e i nach g e b i l d e t, nennt sie es; aber da könnte man glauben, dass sie Gott weiß was für ein modernes, romantisches Ragout daraus gemacht hätte. Und wenn wir sagen wollten: frei ü b e r s e t z t; so könnte man denken, sie sey mit dem Homer umgesprungen, wie der Poet zu Sorau mit dem Virgil: Reim dich oder ich freß' dich! Die Wahrheit ist, sie hat das Original ü b e r d i c h t e t, im guten Sinne des Wortes. Es ist der moderne Rhythmus und Reimklang, aber nichts destoweniger die naive, kindlich geschwätzige Poesie Homers. Die Sängerin hat sich die strenge Fessel der zehnzeiligen trochäischen Fessel von Schillers Hero und Leander angelegt und sie in bewunderungswürdiger Leichtigkeit durch alle 24 Gesänge getragen."11
1828 veröffentlichte sie unter dem Titel "Herbstrosen" eine Sammlung von Gedichten und Erzählungen. Um sie zu finanzieren, wurden Subscribenten geworden, deren Zahl und Rang für diese Ausgabe beachtlich war. Darunter waren zahlreiche Senatoren, Ältermänner, Kaufleute und Pastoren aus Bremen, Prinzen aus Oldenburg und ein ausdrücklicher Dank galt dem "kindlich verehrten Landesvater" seiner Durchlaucht dem Herzog von Oldenburg. Das Motiv für diesen Band ist offenbar der Tod ihrer Tochter Helene, der mit einem Gedicht des Gedenkens gedacht wird, in einem weiteren tröstet sie vor dem Hintergrund der eigenen Trauer eine Mutter, die Gleiches erlitten hatte.
1830 erschien der Liebesroman in Briefen "Seraphine", der in Bremen und London spielt. "Es herrscht in diesem Roman eine feine, wohlgewählte Sprache, der Styl ist fließend und abgerundet, die Gesinnungen sind edel, die Zartgefühle nicht allzu sentimental. Doch hat die Schilderung wohl etwas zu viel Breite, und einige Mal möchte der Ausdruck wohl verfehlt erscheinen....Die Verfasserin zeigt sich als Verehrerin Schillers und Jean Paul's, was zu loben ist" heißt es in der Rezension in der "Zeitung für die elegante Welt."12. Der von ihr verfasste Einakter "Die Nase"wurde im Bremer Stadttheater aufgeführt.

Über ihren 1836 erschienenen Gedichtband "Poesien, Gedanken und Bilder" wurde in der "Zeitung für die elegante Welt" allerdings eine hämische Rezension veröffentlicht: "Diese Dichterin trennt Poesien - Gedanken und Bilder. Mit Recht, denn ihre Poesien sind geschieden von Gedanken, und ihre Bilder weder poetisch noch gedankenvoll. Unter Gedanken und Bildern verstehe sie übrigens die prosaischen Ausgüsse ihres Kopfes, eine Reihe von Tagebuchaufzeichnungen, lauter Wäschzettel für die Wirtschaft, aber salbungsvoll, so was man schlechtweg gefühlvoll nennt. Am besten gelang ihr das poetische Handwerk in der gereimten Odysssee und in den Übersetzungen des sechsten Gesanges der Ilias."13
1838 kündigte sie die Herausgabe eines "Bremisches Album auf das Jahr 1839", an, das "enthaltend eine Sammlung Erzählungen, interessanter Aufsätze, Gedichte. Die meisten Beiträge werden von hiesigen hochgeachteten Gelehrten und Belletristen, die mir ihre Mitwirkung zugesichert haben, geliefert; auch haben rühmlich bekannte auswärtige Schriftsteller mir Beiträge versprochen, und dich darf versichern, den geehrten Subscribenten eine reichhaltige Sammlung zu übergeben, werth einen Platz in ihrer Büchersammlung einzunehmen. Da aber die Herausgabe des Buches nur erreicht werden kann, wenn eine ausgedehnte Theilnahme dafür es möglich macht: so ersuche ich angelegentlich um Förderung meines Plans, durch gütige Unterzeichnung. Das Werk, etwa 16 - 20 Bogen in 8., würde auf schönem Papier sauber gedruckt, zu 1 Gr s. 48 gr. Gold den geehrten Theilnehmern gegen Ende dieses Jahres s p ä t e s t e s t e n s zugesendet werden, und auf diese Weise vielleicht zu der Ehre gelangen, als Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk, gleich andern Taschenbüchern, angewendet zu werden. Hochachtungsvoll, Hedwig Hülle, geb. Hoffmeier, 1838.14 Die Liste der Subscribenten ist ähnlich beachtlich wie bei ihrem Band "Herbstrosen".

"1842 gab Hedwig Hülle - beeindruckt von dem großen Brand in Hamburg - ihre dramatischen Verse "Der Brand von Hamburg" heraus und ließ sie - eine noble Geste - "zum Besten der abgebrannten Armen" drucken."15
Ab 1845 arbeitete Hedwig Hülle auch als Lehrerin. Nach 33 Jahren Aufenthalt in der Stadt, verließ Hedwig Hülle Bremen. Sie zog nach Varel i.O., wo sie 1861 starb.

Aus: Irrfahrten des Odysseus
IN VIER UND ZWANZIG Gesängen
freie Nachbildung in gereimten Strophennach Homer
Bremen, 1826
Zueignung an Göthe
Gleich wie den Vater Homer, den Verkündiger strahlender Helden
Bis auf den heutigen Tag feiert die staunende Welt:
Also gefeiert bist Du, Germanien's Stolz, doch es kränzen
Dir Mitlebende schon das noch umlockte Haupt.
Köstliches Loos, sich geliebt und bewundert zu sehen von Allen!
Jedem auf jeglicher Bahn Führer und Muster zu sein!
Eine Welt zu erbau'n und unsterblichen Ruhm sich gründen,
Selbst zu schauen, was sonst nur nach Jahrhunderten reift!
Bringt Dir doch jeder so gern der Verehrung Zeichen; so nimm auch,
Was mit vertrauender Scheu Dir meine Muse geweiht.
Hab ich zu Kühnes gewagt, nachsingend in leiseren Tönen,
Was des mäonischen Schwan's göttlichem Busen entströmt:
Wende nicht zürnend Dich ab, dass nicht auch jener mir zürne -
Blickst Du freundlich, so blickt freundlich der Schatten Homers.

Publikationen:
Erstlinge des Frühlings (Gedichte), Bremen 1822
Irrfahrten des Odysseus in vier und zwanzig Gesängen, 2 Bde., Bremen 1826
Herbstrosen (Gedichte und Erzählungen), Bremen 1828
Seraphine, Ein Roman in Briefen, Bremen 1830
Die Nase (Einakter), Bremen 1830
Das Kranzbinden (Gedichte), Bremen 1835
Der Bremer Jugendfreund, Monatsschrift, Blätter zur Fortbildung und Unterhaltung der Jugend, Bremen 1833-1837
Poesien, Gedanken und Bilder, Bremen 1836; Bremisches Album (Gedichte), Bremen 1839
Der Brand von Hamburg (Gedicht), Bremen 1842
Die Geheimnisse des Karnevals, Drama in 5 Akten aus dem französischen, Bremen 1847
Ludwig März, eine Weihnachtsgeschichte,die große Englische Puppe, Märchenovelle für Groß und Klein, 1850


Literatur und Quellen:
1 Supplemente zum Universal-Lexikon oder Encyclopädischem Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe: Esthland - Imminuiren, Band 3, Pierer, 1843 - 718 Seiten, S. 675
2. Johann Christian Hülle - Online-OFBs , Abruf 27.12.2014
3. Seedorf,H.:Bremische Biographien des 19. Jahrhunderts, Bremen 1912, S. 230
4. Cyrus, Hannelore: Hedwig Hülle in: Bremer Frauen von A - Z, S.34
5. Staatsarchiv Oldenburg, 6-D 636 zit. in: Cyrus, Hannelore; Denn ich will aus mir machen a.a.O., S.122
6. v.Kobbe, Georg (Hrsg.):Humoristische Blätter, Bd. 1, S.56
7. Seedorf,H. in: Bremische Biographien des 19. Jahrhunderts, Bremen 1912, S.230
8. Cyrus, Hannelore: Hedwig Hülle in: Bremer Frauen von A - Z, S.34
9. Rehm, Walter (Hrsg.) Johann Wolfgang von Goethe, Schriften zur Literatur und Theater I, 1771- 1807, 15. Bd. S.892
10. Blätter für literarische Unterhaltung der gebildeten Stände 1839, S. 280
11. Mitternachtsblatt für gebildete Stände, Braunschweig, 1. Band 1826. S. 347-348
12. Bd. 30, S.1036
13. Zeitung für die elegante Welt, Leipzig 1837, Bd. 37, S.1336
14. Humoristische Blätter, Bd.1
15. Cyrus Bremer Frauen..., S.35
Autorin: Edith Laudowicz